Agiles Arbeiten – ein Trend für alle?

Agilität – eines der Modewörter unserer Zeit. Agil zu sein heisst, Wendigkeit und Beweglichkeit an den Tag zu legen. Sicherlich ist das eine sehr nützliche Eigenschaft in einer Welt, die gefühlt tagtäglich ihr Gesicht verändert. Wer sich schnell an neue Gegebenheiten anpassen kann, der hat einen Wettbewerbsvorteil. Das wusste bereits Darwin und die Erkenntnis setzt sich nun auch in der Arbeitswelt und den Unternehmen durch. Aus diesem Grund nehmen mehr und mehr Betriebe in der Schweiz agiles Arbeiten auf ihre Agenda. Denn was heute noch der letzte Schrei war, ist morgen schon out. Ein Unternehmen, das darauf nicht schnell genug reagieren kann, verliert seine Kunden und ist weg vom Fenster. Aber auch unvorhersehbare Ereignisse, wie die aktuell grassierende Pandemie, können dafür sorgen, dass Agilität im Unternehmen zum überlebenswichtigen Faktor wird.

Was bedeutet agiles Arbeiten?

Per Definition ist agiles Arbeiten eine Arbeitsweise, die durch ihre Strukturen so ausgelegt ist, dass Veränderungen rasch aufgenommen und in laufende Prozesse integriert werden können. Dabei geht es vor allem um eigenverantwortliche Teamarbeit, kleinteilige Planung und die Verschlankung von Entscheidungswegen. Die Ursprünge sind, wie so oft, in der Digitalisierung zu finden. Weil der technologische Fortschritt um die Jahrtausendwende rasant an Fahrt aufgenommen hat, wurde die agile Softwareentwicklung quasi zur Notwendigkeit. Langfristige Planung war auf einmal ein Hemmschuh, festgesteckte Ziele waren innert kurzer Zeit einfach überholt. Doch durch agile Methoden wie «Scrum» konnten die Produktentwickler flexibel bleiben, neue Anforderungen berücksichtigen und direkt einbeziehen.

Agile Methoden sind heute längst nicht mehr auf die Softwareentwicklung beschränkt. Es heisst, dass agile Unternehmen mehr Erfolg haben. Daher ist es naheliegend, dass sich agiles Arbeiten in der Schweiz weiter verbreiten wird. Als Auslöser für ein Umdenken in Richtung mehr Agilität gelten einerseits die durch den technologischen Wandel bedingten Änderungen am Markt und im Kundenverhalten. Andererseits hat auch die interne Organisation Einfluss darauf, ob ein Unternehmen flexibel sein kann oder nicht. In der Schweiz setzen Betriebe hauptsächlich auf die agilen Methoden «Scrum», «Design Thinking» und «Kanban». Daneben sollen agile Organisationsmodelle wie «Holacracy» eine Alternative zu klassischen Hierarchien bilden. Schweizer Unternehmen, die bereits agil arbeiten, sind sich einig, dass sie dadurch schneller und besser auf Veränderungen reagieren können.*

Wie funktioniert agiles Arbeiten?

Agiles Arbeiten stützt sich auf die Prämisse, dass Individuen und ihr Zusammenspiel wichtiger sind als Prozesse. Dazu gehört neben dem Team auch die Zusammenarbeit mit dem Kunden, der Vorrang vor Vertragsverhandlungen hat. Genauso bekommt die Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen einen höheren Stellenwert, als das Festhalten am ursprünglichen Plan. Daraus wiederum ergeben sich sechs agile Grundprinzipien:

  • Orientierung an den Bedürfnissen des Kunden
  • Übertragung der relevanten Befugnisse auf interdisziplinäre Teams
  • Coachende Führung als Rahmengeber
  • Aufsplittung komplexer Projekte in schrittweises Erarbeiten von Teillösungen
  • Transparente abteilungsübergreifende Kooperation
  • Regelmässige Feedbacks zur Qualitätskontrolle

Auch beim agilen Arbeiten existiert ein übergeordnetes Ziel. Aber der Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist ein anderer. Es geht nicht mehr darum, alle erforderlichen Schritte im Vorfeld genauestens zu planen sowie den Ablauf strikt einzuhalten und zu dokumentieren. Vielmehr entwickelt man sich Stück für Stück auf das Ziel zu. Damit bleibt das Ziel ebenfalls nicht in Stein gemeisselt und kann sich mit jedem erreichten Zwischenschritt verändern.

Agiles Arbeiten: Vor- und Nachteile

Agile Arbeitsformen sorgen ohne Zweifel dafür, dass Mitarbeitende ihre Potenziale besser erkennen und ausschöpfen können. Die interdisziplinäre und teamübergreifende Zusammenarbeit bringt durch ihre Synergieeffekte oftmals mehr Innovation mit sich. Grössere Eigenverantwortung für den Einzelnen und eine gewisse Freiheit bei der Arbeit haben einen positiven Einfluss auf die Mitarbeiterbindung. Die persönliche Weiterentwicklung rückt viel stärker in den Vordergrund und macht den klassischen Karrierekampf obsolet. Agile Unternehmen haben nicht nur einen Wettbewerbsvorteil am Markt, sondern auch beim Recruiting die Nase vorn. Denn vor allem junge Talente legen immer mehr Wert auf flexible Arbeitsmodelle.

Doch es gibt ebenso Kritik am agilen Arbeiten. Agilität ist ein Trend, dem nicht jeder Betrieb ohne weiteres folgen kann. Während sich agile Methoden vor allem dort eignen, wo Projektarbeit gross geschrieben wird, kommen sie woanders nur bedingt in Frage. Zuweilen stammt der Widerstand gegen agile Arbeitsformen aus den Reihen der eigenen Belegschaft. Viele befürchten, mit einer neuen Art zu arbeiten überfordert zu sein. Sie fühlen sich plötzlich allein gelassen, weil ihnen ihre neue Rolle gar nicht klar ist. Oder weil sie nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen. Ausserdem kommt keinesfalls jeder mit einer höheren persönlichen Verantwortung zurecht.

Nachteilig wirkt sich agiles Arbeiten immer dann aus, wenn zwar ein Modell aufgegleist wird, aber die Voraussetzungen fehlen. Natürlich lassen sich agile Methoden erlernen. Aber Mitarbeitende müssen auch wissen, warum sich etwas ändern soll und sie brauchen Begleitung. Agilität bedeutet ja nicht, von heute auf morgen völlig autonom zu sein. Im Gegenteil, agil zu werden ist ein Lernprozess, der immer wieder neu ausbalanciert werden muss. Dazu gehört ein Wandel in der Unternehmenskultur, beispielsweise im Umgang mit Fehlern. Denn in der agilen Welt sind Fehler Motor für einen Wandel und kein Anlass zu negativer Kritik.

Agile Methoden im Recruiting?

Wenn ein Unternehmen agil sein will, muss sich das am Ende auch im Personalmanagement niederschlagen. Doch eignen sich hier agile Methoden, zum Beispiel im Recruiting? Die richtigen Mitarbeitenden zu finden, ist ja meistens ein recht langwieriger Prozess. Da werden mühsam die Anforderungen an die Stelle zusammengetragen, Bewerbungen gesichtet, Jobinterviews geführt – trotzdem ist der Wunschkandidat nicht dabei. Das liegt oft daran, dass Personalverantwortliche sich darauf fokussieren, was Bewerber schon mitbringen müssen, um zukünftige Aufgaben zu erfüllen. Dabei wäre es viel interessanter, das Lern- und Entwicklungspotenzial zu beleuchten. Schliesslich lebt agiles Arbeiten von der Innovationsfähigkeit der Mitarbeitenden und von Teamentscheidungen. Darum sollte das Team bei der Personalauswahl mit einbezogen werden. Und nicht zuletzt bedeutet Agilität im Recruiting, eine gute Candidate Experience zu liefern und Feedback zu geben.

*Studie ↗ «Agile Arbeits- und Organisationsformen in der Schweiz» des Instituts für angewandte Psychologie der ZHAW, 2019

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