Erster und zweiter Arbeitsmarkt in der Schweiz

Märkte werden von Angebot und Nachfrage bestimmt. Das gilt natürlich auch für den Arbeitsmarkt. Jedenfalls dann, wenn es um eine herkömmliche Beschäftigung im üblichen Sinne geht. Einer geregelten Arbeit nachzugehen und dafür entsprechend entlohnt zu werden, ist für die meisten berufstätigen Schweizer und Schweizerinnen der Normalfall. Doch im Leben haben nicht alle Menschen stets dieselben Chancen und können sich am ersten Arbeitsmarkt problemlos behaupten. Deshalb existiert in der Schweiz noch ein weiterer, ein sogenannter zweiter Arbeitsmarkt. Was ist damit genau gemeint? Und wie unterscheiden sich erster und zweiter Arbeitsmarkt voneinander?

Definition: Erster und zweiter Arbeitsmarkt

Erster Arbeitsmarkt

Der erste Arbeitsmarkt folgt den Gesetzen der freien Wirtschaft. Unternehmen, Organisationen und Verbände brauchen Arbeitskräfte, um produzieren und Umsätze erzielen zu können. Das trifft sowohl auf gewinnorientierte Betriebe als auch auf gemeinnützige Einrichtungen zu. Umgekehrt müssen Menschen sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Auf dem Stellenmarkt treffen dann Arbeitgebende als Anbietende und Arbeitsuchende als Nachfragende zusammen. Wenn sie ein Arbeitsverhältnis eingehen, kommt dieses ohne regulierende Eingriffe von aussen zustande. Geld gegen Arbeit ist das Credo des regulären Arbeitsmarktes.

Die Vergütung ist dabei so hoch, dass weder Arbeitgebende noch Arbeitnehmende auf staatliche Zuschüsse oder Hilfen angewiesen sind. Wie das Angebot auf dem ersten Arbeitsmarkt ausfällt, hängt von verschiedenen Faktoren, wie Konjunktur oder politischen Entwicklungen, ab. Das kann zur Folge haben, dass es ein Überangebot an offenen Stellen und zuwenige Bewerber gibt. Dann ist die Rede vom Fachkräftemangel. Umgekehrt kann die Nachfrage nach Arbeitskräften sinken und ein Anstieg der Arbeitslosenzahlen ist das Resultat. Wem es nicht gelingt, am ersten Arbeitsmarkt schnell wieder Fuss zu fassen, findet sich womöglich als Ausgesteuerter auf dem zweiten Arbeitsmarkt wieder.

Zweiter Arbeitsmarkt

Was zweiter Arbeitsmarkt genau bedeutet, lässt sich nicht so ganz einfach festmachen. Schon allein die Verwendung des Wortes «Markt» erscheint etwas irreführend. Denn es handelt sich nicht um einen Markt im eigentlichen Sinne, wo Angebot und Nachfrage regieren. Außerdem gibt es bisher keinen abschliessenden Konsens, welche Arten von Beschäftigung genau hierher gehören. Ein wesentliches Merkmal ist aber, dass es sich um staatlich subventionierte Arbeitsverhältnisse handelt, die jedoch nicht marktüblich vergütet werden. Zudem sind sie in den meisten Fällen zeitlich befristet.

Das Ziel: Benachteiligten Menschen eine Teilhabe am Arbeitsleben bzw. einen Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Einige Publikationen und Forschungsarbeiten verwenden anstelle zweiter Arbeitsmarkt den Begriff «Ergänzender Arbeitsmarkt» (↗ Soziale Sicherheit CHSS Ausgabe Nr.3 | September 2019). Im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen in Werkstätten für Personen mit Behinderung spricht man von geschützer Arbeit.

Wie setzt sich der zweite Arbeitsmarkt zusammen?

Zum einen findet man hier Arbeitslose in Programmen zur vorübergehenden Beschäftigung. Zum anderen Menschen, die nach Unfall oder Krankheit eine (teilweise) Wiedereingliederung anstreben und dazu an Integrationsmassnahmen teilnehmen. Aber auch die sogenannten ausgesteuerten Personen, die sich um einen erneuten Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt bemühen.

Was sind ausgesteuerte Personen?
Der Kreis der Ausgesteuerten umfasst diejenigen, die nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes innert zwei Jahren keine neue Stelle finden können. Ihr Anspruch auf Tagegelder aus der Arbeitslosenversicherung erlischt nach dieser Zeit und sie werden aus der Versicherung ausgesteuert. Zwischen 2014 und 2018 waren in der Schweiz jährlich ca. 38.000 Personen davon betroffen. Immerhin konnten 55 % von ihnen im ersten Jahr nach der Aussteuerung wieder Fuss am ersten Arbeitsmarkt fassen (↗ BfS – Situation der ausgesteuerten Personen 2014-2018).

Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die in geschützen Werkstätten arbeiten, zählen ebenfalls zum zweiten Arbeitsmarkt. Für sie gilt die Besonderheit, dass sie tatsächlich einen festen Lohn beziehen. Selbst, wenn dieser weit geringer ausfällt, als im «richtigen» Arbeitsleben. Weitere Beschäftigungsverhältnisse, die hierher gehören, sind die von:

  • Zivildienst- und Zivilschutzleistenden
  • Asylbewerbern und -bewerberinnen

  • Sozialhilfeempfängern und – empfängerinnen

  • Strafgefangenen

  • gemeinnützig Tätigen

All diese Menschen arbeiten in irgendeiner Form. Dafür erhalten sie von staatlicher Seite Pauschalen, Tagegelder oder Entschädigungen. Allerdings werden diese ganz oder teilweise auf andere Leistungen (wie Sozialhilfe) angerechnet. Manchmal machen sie sich finanziell für die Betroffenen gar nicht bemerkbar. Gemeinnützige Tätigkeiten bleiben gänzlich unbezahlt.

Wo sich erster und zweiter Arbeitsmarkt treffen

Erster und zweiter Arbeitsmarkt haben durchaus Überschneidungen. Etwa dann, wenn ein Unternehmen der Privatwirtschaft Menschen aus dem zweiten Arbeitsmarkt, beispielsweise im Rahmen einer Umschulung, beschäftigt. Und auch einige gemeinnützige Organisationen richten sich mehr und mehr nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten aus. Das heisst, sie produzieren auch, um eine bestimmte Nachfrage zu befriedigen. Selbst wenn die Gewinnorientiert dabei nicht im Vordergrund steht. Im Grunde genommen wird am zweiten Arbeitsmarkt ganz genauso Leistung erbracht, wie am ersten.

Trotzdem darf man an dieser Stelle nicht vergessen, dass solche Beschäftigungen nicht den normalen arbeitsrechtlichen Regelungen unterliegen. Am zweiten Arbeitsmarkt besteht eine Art Dreiecksbeziehung zwischen Staat, Arbeitgebenden und denjenigen, die dort tätig sind. Weil Beschäftigte aus dem zweiten Arbeitsmarkt einen Sonderstatus besitzen, muss ihre Anstellung bewilligt werden und erfolgt zu festgelegten Bedingungen. Eine Vertragsfreiheit, wie am ersten Arbeitsmarkt üblich, gibt es also nicht.

Kritik am zweiten Arbeitsmarkt

Der zweite Arbeitsmarkt sollte ursprünglich eine weitere Säule zur sozialen Absicherung bilden. Dennoch muss er sich Kritik gefallen lassen. Einerseits schwingt der leise Vorwurf der Ausbeutung mit. Vor allem, wenn sich Unternehmen schlicht aus Kostengründen lieber am sekundären Arbeitsmarkt bedienen. Weil die gezahlten Entschädigungen in diesem Bereich geringer sind, als die regulären Löhne, wirkt sich das negativ auf die späteren Renten aus. Wer eine gemeinnützige Arbeit hat, erwirbt damit noch nicht einmal einen Rentenanspruch.

Und selbst diejenigen, die es wieder auf den ersten Arbeitsmarkt schaffen, haben nicht immer Grund zur ungetrübten Freude. Zum Beispiel arbeitet die Mehrheit der ehemals Ausgesteuerten erst einmal in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und bekommt durchschnittlich weniger Lohn. Mit den entsprechenden sozialen Folgen. Manchen gelingt der Schritt zurück auch gar nicht mehr.

Zweiter Arbeitsmarkt als Chance

Trotz alledem: Für viele bedeutet zweiter Arbeitsmarkt eine grosse Chance. Wer einmal längere Zeit arbeitslos war, weiss, wie sehr das an der Psyche nagt. Ein Job am ergänzenden Arbeitsmarkt bedeutet nämlich auch, wieder eine Aufgabe zu haben, dem Tag Struktur zu verleihen. Schon allein das Gefühl, gebraucht zu werden, kann sich enorm positiv auf die eigene Einstellung auswirken. Das gilt insbesondere für Menschen, die auf dem regulären Jobmarkt, aus welchen Gründen auch immer, sowieso nicht arbeiten können. Und nicht zuletzt erfüllt der zweite Arbeitsmarkt seine Funktion zur Wiedereingliederung ja in vielen Fällen. Umschulungs- und Weiterbildungsmassnahmen kommen nicht nur den Betroffenen zugute. Unternehmen können hier durchaus qualifizierte Fachkräfte finden und diese an den ersten Arbeitsmarkt zurückholen.

Foto: Levi Jones | unsplash.com

Teilen Sie diese Info in den Sozialen Medien oder per E-Mail:

Newsletter