Flexibilität im Beruf – fit für neue Arbeitsformen
Während der vergangenen Wochen und Monate hat unser Leben grosse Veränderungen erfahren. Der deutlich messbare Rückgang der Wirtschaft und steigende Arbeitslosenzahlen sorgen zusätzlich für Verunsicherung. Trotzdem zeigt sich gerade, dass in der Arbeitswelt so einiges möglich geworden ist, was vor kurzem noch undenkbar schien. Viele haben eine erstaunliche Flexibilität im Beruf an den Tag gelegt und neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen. Dabei nimmt der Wunsch nach flexiblem Arbeiten schon seit Jahren zu, scheitert aber häufig an den eingefahrenen Strukturen. Bringt jetzt ausgerechnet eine Krise den notwendigen Sinneswandel?
Was bedeutet Flexibilität im Beruf?
Zuerst mag man dabei an flexible Arbeitszeit denken. Und tatsächlich scheint sich der Trend von der starren 40-Stundenwoche mit festem Arbeitsbeginn und -ende weg zu bewegen. Immerhin hatten 2019 schon fast die Hälfte der Schweizer Arbeitnehmenden flexible Arbeitszeiten.* Aber Flexibilität im Berufsleben bedeutet mehr, als nur zu entscheiden, dass man statt um 7 Uhr erst um 9 Uhr anfängt.
Wenn man nach Synonymen für das Wort «flexibel» sucht, stösst man auf Begriffe wie anpassungsfähig, biegsam, wendig, offen und beweglich. Damit ist nicht nur der Faktor Zeit gemeint. Sondern zudem die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzulassen und seine Handlungsweisen daran auszurichten. Die eigene Einstellung zu Veränderungen ist ausschlaggebend dafür, ob und wie flexibel man reagieren kann. Das gilt sowohl für den einzelnen Arbeitnehmenden als auch für das ganze Unternehmen.
Doch es fällt nicht jedem leicht, sich von alten Gewohnheiten zu lösen. Warum sollte man das, was sich lange bewährt hat, einfach aufgeben? Derzeit mag die Antwort darauf klar auf der Hand liegen: Flexibilität im Beruf hat geholfen, in der Krise handlungsfähig zu bleiben. Aber was kommt danach? Setzen sich die Konzepte von New Work durch oder kehren wir zum alten Status Quo zurück, weil es so schön bequem war? Das wird bestimmt auch davon abhängen, ob man einen Konsens findet, der Mitarbeitenden und Unternehmen gerecht wird.
Flexible Arbeitsmodelle – von Jahresarbeitszeit bis Homeoffice
Möglichkeiten, Arbeit flexibel zu gestalten, gibt es viele. Die flexible Arbeitszeit ist nur eine davon und beschränkt sich längst nicht mehr auf ein Gleitzeit- oder Teilzeitmodell. Inzwischen erfeuen sich Arbeitszeitkonten, die langfristig ausgerichtet sind, zunehmender Beliebtheit. Dabei liegt der Fokus auf der sogenannten Jahresarbeitszeit. Hier betrachtet man die Sollstunden auf das ganze Jahr hinaus und die Arbeitszeit wird individuell auf einzelne Monate verteilt. Weil man dadurch besser auf schwankende Auftragslagen reagieren kann, bedeutet das gerade in der Produktion einen grossen Vorteil. Flexibilität in einem Bereich, in dem physische Anwesenheit nötig ist und sonst wenig Raum für alternative Arbeitsformen bleibt. Eine weitere Variante sind Konten, auf denen Arbeitnehmende ihre Überzeiten auf ihr gesamtes Arbeitsleben ansparen. Die so gesammelten Zeiten lassen sich beispielsweise für ein Sabbatical, eine verlängerte Elternzeit oder eine vorzeitige Pensionierung nutzen.
Doch nicht nur die Arbeitszeit auch der Arbeitsplatz kann flexibel sein. Mobilität und Flexibilität im Beruf ist besonders in der Digitalbranche angesagt. Dass das gut klappt, zeigen die sogenannten digitalen Nomaden schon seit längerem. Wer in diesem Bereich Talente finden will, sei es für einzelne Projekte oder auf lange Sicht, der muss eine Art zu arbeiten bieten, die deren Anforderungen gerecht wird. Wegen der Corona-Krise hat nun vor allem das dezentrale Arbeiten im Homeoffice an Bedeutung gewonnen. Eine flexible Arbeitsform, von der viele profitieren könnten. Ob und auf welche Weise Heimarbeit in Zukunft weiter funktioniert, wird sich zeigen. Auf jeden Fall sind die Voraussetzungen für einen mobilen Arbeitsplatz zuhause (oder auch anderswo) da.
Ausserdem muss es ja nicht gleich das Vollzeit-Heimbüro sein. Bei einem Wechsel zwischen heimischem Schreibtisch und Büro können sich, in Anlehnung an das Jobsharing, mehrere Mitarbeitende einen Arbeitsplatz teilen. Dadurch ergibt sich Einsparpotenzial bei den benötigten Büroflächen. Überhaupt sieht es momentan so aus, als hätte das offene Grossraumbüro ausgedient. Auch das ist eine Entwicklung, auf die man mit flexiblen Arbeitsplätzen reagieren sollte.
Wozu mehr Flexibilität im Berufsleben?
Aber warum wünschen sich viele mehr Flexibilität im Beruf? Die Motive dafür sind ganz verschieden. Das wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die Temporärarbeitenden wirft. Während für den einen einige Kurzeinsätze das Sprungbrett in die Festanstellung sind, nutzen andere das Modell nach einer Absenz für einen Wiedereinstieg ins Berufsleben. Manche möchten in verschiedenen Bereichen Erfahrungen sammeln. Und manche schätzen die Möglichkeit, nach einer temporären Anstellung eine Auszeit nehmen zu können. Nicht zuletzt ist immer wieder die Rede davon, dass flexible Arbeitsmodelle einen positiven Einfluss auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben.
Andererseits steht für viele vielleicht gerade jetzt die Sinnfrage im Raum. Habe ich noch Chancen in meinem Job? Oder ist es Zeit für eine berufliche Umorientierung? Hier geht es um ein gewisses Mass an geistiger Flexibilität. Wie bereit bin ich, etwas Neues zu lernen? Denn eines steht fest, die Arbeitswelt ändert sich und mit ihr auch die Anforderungen an jeden einzelnen. Sicherlich fällt es nicht leicht, sich, manchmal gar von heute auf morgen, neuen Herausforderungen zu stellen. Deshalb muss man sich klar machen, wozu eine Veränderung gut ist. Wem die Vorteile bewusst sind, dem gelingt es auch besser, sich anzupassen.
Flexibilität im Beruf hat Grenzen
Genauso profitieren auch Unternehmen von flexiblen Arbeitsmodellen. Beispielsweise, wenn Mitarbeitende in der Lage sind, im Job zu rotieren und verschiedene Positionen auszufüllen. Nebenher fördert das Kreativität und Innovation. Oder aber, wenn man als Betrieb bei Bedarf schnell auf qualifizierte Flexworker zurückgreifen kann. Überdies zeichnet sich ab, dass es eine Tendenz hin zu mehr projektbezogener Arbeit gibt. Dementsprechend müssen Personaldienstleister ihre Recruiting-Prozesse anpassen und neue Angebote auf den Weg bringen. Es gilt, sowohl die Wünsche der Bewerber als auch die der Kunden so zu vereinen, dass alle einen Nutzen aus der Zusammenarbeit haben.
Bei aller Erfordernis nach Flexibilität im Beruf darf die Auslegung von Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit nicht zu weit gehen. Denn nicht selten wird aus Flexibilität ständige Erreichbarkeit. Mitarbeitende übernehmen Aufgabe um Aufgabe, weil sie beweisen müssen oder wollen, wie flexibel sie sind. So mancher ist überfordert, weil er plötzlich Dinge machen soll, die er gar nicht kann. Wenn man neue Wege beschreitet, dann braucht man die richtigen Strukturen dafür. Die Bedürfnisse des einzelnen dürfen nicht unter überzogenen oder unrealistischen Vorgaben leiden. Wer von seinen Mitarbeitenden Flexibilität verlangt, muss selbst flexibel sein und die passenden Rahmenbedingungen liefern. Ansonsten ist ganz schnell Schluss mit der schönen, neuen Arbeitswelt.